Hoch im Norden unserer Republik gibt es eine Dauerausstellung für Youngtimer mit
stetig wechselnden Exponaten. Ihr Schwerpunkt liegt auf Brot und Butter-Autos.
Hier lässt sich auf einen Blick erkennen, wie beliebt ein Modell dereinst gewesen
ist, denn die begehrten und haltbaren Stücke sind in hohem Alter und in einer großen
Anzahl vorhanden - die weniger begehrten und weniger haltbaren Fahrzeuge dagegen
stehen hier jung an Jahren in geringer Stückzahl.
Morgens um sieben liegt der Platz noch in tiefer Stille. Deutschlands größte
Sammlung von Youngtimern interessiert jetzt noch niemanden. Doch wenn sich das
Tor öffnet, tröpfeln die Schraublustigen in loser Folge herein. Je nach Vorhaben
ausgestattet mit Werkzeug aller Art und Größe steuern sie meist gezielt und festen
Schrittes auf die Golf II's, die derzeit einzige Ente, auf die Strich Achter oder
anderes automobiles Kulturgut zu. Und nehmen sich, was sie davon brauchen. Was auf
üblichen Autoschauen verboten ist, ist hier ausdrücklich erwünscht: Das Anfassen
und Abbauen von begehrten Autoteilen. Dieser Friedhof ist eine Art Supermarkt für
Ersatzteile, Deutschlands größter Autoverwerter. Doch selbst automobile Raritäten,
die wenigen Jaguar, Mercedes und andere aus den Jahren 1965 bis 1985, die hier bei
der Kiesow GmbH in Hamburg-Norderstedt landen, werden nicht wieder aufgebaut und
auf den Straßen unterwegs sein. Aber diverse Teile von ihnen ermöglichen es anderen
Schätzchen, weiter zu existieren, selbst wenn die Ersatzteilpreise des Herstellers
schon die Schallmauer durchbrochen haben.
So ist vor allem bei raren Modellen nichts verloren - diese stehen solange,
bis fast nichts mehr zu verwerten ist. Andere Fahrzeuge dagegen landen auch schon
einmal nahezu komplett in der Presse, nur um die typischen Unfall- und
Verschleiß-Ersatzteile erleichtert. Denn wer braucht schon eine Innenausstattung
für einen Ford Ka? Die Fahrzeuge stehen in jeweils einer Doppelreihe von etwa
siebzig Metern Länge nebeneinander und übereinander. Gelegentlich vorbeiflitzende
Staplerfahrer kommen auf einen Wink heran und heben einen obenstehenden Wagen auf
die asphaltierten Fahrwege zwischen den Reihen, wo es sich bequemer schrauben lässt.
Wenn man die Schraubenschlüssel Zuhause liegengelassen hat, hilft man dort auch aus.
Ein gut sortiertes Lager ausgebauter Motoren, Getriebe und anderer gängiger Ersatzteile,
dessen Bestand über das Internet einsehbar ist, sowie eine Werkstatt zum Einbau selbst
ausgebauter Ersatzteile durch Mechaniker und ein Gebrauchtfahrzeug-Handel runden das
Angebot ab. Die Rohstoffverwertung des automobilen Schrotts ist dagegen nur ein
Nebenerwerb, so Ole Helbach der Firma Kiesow Autorecycling. Wenn jedoch der Wert
der Rohstoffe durch die steigende Nachfrage aus dem ostasiatischen Raum jedoch
weiter ansteigt, könnte sich dereinst das Verhältnis umkehren.
So manchen frisch eingetroffenen Young- oder Oldtimer möchte der begnadete
Bastler am liebsten gleich mit nach Hause nehmen. "Es ist doch schade drum.
Ich müsste ihn nur ein bisschen sauber machen, dann hätte ich das wieder,
was uns vor langer Zeit mal etwas bedeutet hat." Eine mit solchen Gedanken
begonnene Restaurierung endet jedoch häufig im emotionalen und finanziellen
Desaster. Weil es mit dem sauber machen nicht getan ist. Weil man nicht alles
selber machen kann und hier und da auf Fachkräfte angewiesen ist. Weil gerade
für diese verlockenden Raritäten nur schwer günstige gebrauchte Ersatzteile
zu finden sind, weil sie so rar sind. So ist es für den Einsteiger ungleich
risikoloser, ein Massenmodell zu erwählen. Von dem in ein paar Jahren vermutlich
immer noch eine stattliche Anzahl unterwegs sein werden. Auch erlebt man nur
mit dem Youngtimer das schönste, was dem Schrauber widerfahren kann: dass man
mit einem Wagen alt wird.
Doch zurück auf den Platz. Gibt es hier wirklich noch Brauchbares? Wenn man
sich nicht der vorrätigen Teile des Lagers bedient, ist es eine Frage des Timings.
Eine Antriebswelle für den Golf II findet man hier beispielsweise sofort. Als
Enteneigner oder Besitzer einer Mercedes S-Klasse dagegen ist es sinnvoller,
sich selbst ein Schlachtfahrzeug zuzulegen. Denn wahre Oldtimer und sehr begehrte
Youngtimer sind auch hier rar. Nun gibt es bekanntlich solche und solche Schrauber.
Diejenigen, welche schrauben lassen und ihre wertvollen Fahrzeuge niemals mit
gebrauchten Ersatzteilen am Leben erhalten würden, gewinnen auf Treffen eher
einen der begehrten Preise und haben das perfektere Auto, wunderschön anzusehen,
doch mit einer damit einhergehenden geringeren Praxistauglichkeit. Und es gibt
andere, welche mit ihrem Fahrzeug ungleich mehr verbunden sind, weil sie es
benutzen und verschleißen und wieder aufbauen - eben weil sie damit leben. Für
diese wäre die Verwendung ausschließlich fabrikneuer Ersatzteile eine Verschwendung
und Übertreibung. Beide Fahrzeuge haben sicher eine Seele - doch mit welchen würden
Sie lieber in ein verlängertes Wochenende nach Paris starten?
Wenn es dann gegen Abend wieder etwas kühler wird, die Dämmerung hereinbricht
und sich das Tor für heute schließt, sind vielleicht die ersten Schrauber des
Morgens schon an ihrem Schätzchen zugange. Oder aber es fährt bereits wieder.
Dann war es ein schöner Tag.
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