Wir sind im Verlauf unseres Lebens so vielfältigen unwägbaren Risiken ausgesetzt, dass man meinen sollte, man hätte genug daran. Dem ist jedoch nicht so. Vielen wird die oberflächliche Sicherheit ihrer Existenz öde und lässt sie nach Anregungen suchen. Andere haben sich schon vor dem Lebenszyklus für riskante Erfahrungen in Beruf oder Alltag entschieden, die sie immer wieder an existentielle Grenzen bringen.
Im letztgenannten Fall der Vorplanung ist das Risiko ein Teil des Lebensplanes und völlig akzeptabel. Wer jedoch nur aus Überdruss und Langeweile das Risiko sucht, hat ein Problem. Dass das Leben durch S-Bahnsurfen und ähnlich waghalsiges Verhalten nicht immer an Qualität gewinnt, liegt auf der Hand. Zwar geschieht uns nichts, was wir nicht mit unserem persönlichen Selbst auch akzeptieren. Bei vielen dieser Menschen würde ich jedoch nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass sie stets die eigene Unversehrtheit zum Ziel haben.
Unfälle zu provozieren ist daher eine Form der Raserei. Möglichkeiten gibt es viele - doch je stärker der Verstand1 ausgebildet ist, desto weniger werden sie genutzt. Als da beispielhaft wären:
Es ist hierbei wie mit allen anderen riskanten Aktionen, denen man sich aussetzt: Man geht nicht an den ersten Zigaretten zugrunde, viele Bungee-Sprünge können klappen und Hooligans wollen sich einfach nicht blicken lassen - aber wehe, wenn. Das Wachbewusstsein sollte - solange sich noch kein zügelnder Charakter herausgebildet hat - bei den Willen des Egos auf der Bremse stehen, es immer wieder bewusst zügeln, bis - wie Mark Aurelius es sagte - "die Aura die Farbe des Handelns und Denkens" angenommen hat. Denn erst der durch spirituelle Erfahrung ausgebildete Charakter kann diese Kontrolle automatisiert und unbewusst übernehmen. Sobald man nun den Fuß von der Bremse nimmt, fährt der in alle Richtungen probierende Wille fort, seine Ziele anzupeilen.
Mit dem Willen ist es daher wie in der folgenden Analogie beschrieben:
Stellen Sie sich vor, Sie säßen auf dem Flughafengelände im Cockpit eines Flugzeugs. Sie hätten zwar keinerlei Ahnung von diesen Dingern, aber ein Bekannter hat Ihnen das zeigen wollen. Nun ist er kurz gegangen und Sie berühren einen Hebel - und nichts ahnend setzt sich das große Flugzeug in Bewegung, rollt los. Sie kennen nur die Fußbremse und das Lenkrad, bremsen bis zur Erschöpfung gegen die Kraft der Turbinen an und lenken um Hindernisse herum. Aber sobald Sie in Aufmerksamkeit und Widerstand gegen den Verlauf nachlassen, rollt das Flugzeug wieder los und bringt Sie in schwierige, manches Mal gefährliche Situationen.
Das rollende Flugzeug ist der die meisten Menschen am Nasenring ziehende Wille des Ichs, also sein Ego. Es kostet Kraft, ihn nur mit dem Verstand zu kontrollieren und für Nonsens-Ziele knapp zu halten. Verfügt der Betreffende jedoch über einen starken ausgebildeten Charakter, muss er sich erst motivieren, überhaupt einen Willen für irgendetwas auszubilden - denn dieser ist in einem solchen Bewusstsein eliminiert, nur auf das Lebensnotwendige begrenzt, und selbst hierfür muss sich ein solcher Mensch motivieren. Dessen Flugzeug steht - um in der Analogie zu bleiben - wie eine 'Eins'. Und rollt nur nach größeren Willensanstrengungen ein paar Meter vor. Deshalb sagt man spirituell Hochstehenden nach, dass sie selbst ihre Alltagsgeschäfte nur tändelnd mit schwankender, eher geringer Motivation abwickeln.
So kann selbst die Sexualität einschlafen, wenn ein solcher sich nicht kontinuierlich neu motiviert. Also ein Interesse hierfür ausbildet und es beständig fördert. Der Charakterstarke entscheidet also, so wie ein Reiter sein Pferd führt, wo er sich Mühe macht und mit etwas Willen engagiert. Das Ego des spirituell Unerfahrenen (vgl. S. 179) am anderen Ende der Skala läuft dagegen unkontrolliert unter Volldampf und ist damit in den künstlichen Hierarchien dieses Lebenssystems - beispielsweise im Beruf und Politik - oft deutlich erfolgreicher. Auch hieran mag es liegen, dass die Welt unseres Zeitalters nicht in der besten denkbaren Verfassung ist und künstliche Strukturen kaum noch die Werterfüllung des Individuums im Blick haben.
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