Der Vorgang des Erwachens aus dem Schlaf ist demjenigen der Rückkehr in den physischen Körper am Ende einer bewussten außerkörperlichen Erfahrung sehr ähnlich - er wird oft als Fallen in den Körper hinein empfunden. Ingrisch widerfuhr es gelegentlich, dass sie - sich nach einem luziden Traum (vgl. S.288) wach wähnend - ohne ihren physischen Körper aufstand, um das Tagwerk zu beginnen. Diese Unstimmigkeit konnte sie nicht auf Anhieb bemerken, da in der niederen Bewusstseinssicht nur die Farben kräftiger erscheinen, im Übrigen die physische Umgebung als absolut stimmig wahrgenommen wird. Eine solche dem Schlaf ähnliche Fokussierung des Unterbewusstseins endet, wenn sich der Betroffene gegen den Austritt aus seinem physischen Körper sperrt. Ansonsten hat man mit diesem zum Unterbewusstsein verschobenen Fokus eines dominierenden Wachbewusstseins keine Möglichkeiten, die Rückkehr in den physischen Körper willentlich herbeizuführen.
Oft ist man in versunkenen Träumen in eine akustische Hintergrundberieselung eingebunden. Musik oder Töne sind ein wesentlicher Bestandteil vieler geistiger Vorstellungswelten. Doch diese Töne, Geräusche oder Musikstücke resultieren aus der eigenen Psyche. Es scheint so zu sein, dass das Selbst manche geistige Erfahrungen hiermit begleitet. Immer drücken Musik, Geräusche und Töne die vorherrschende Stimmung des wahrnehmenden Bewusstseins aus1. Oft sind sie im Erwachen noch einige Zeit wahrnehmbar ähnlich der Geräusche einer sich entfernenden Hundemeute oder Musik. Die Stimmung der nächtlichen Erfahrungen in geistigen Welten kann den ganzen nachfolgenden Tag prägen, was wenig verwunderlich ist, weil in vielen Traumerfahrungen der Tag vorbereitet wird. Robertss (Seth) berichtet von ähnlichen Erfahrungen in ihrer Arbeit als Medium [Lit 175]. Zum Trance-Ende, wenn sich die temporär besetzende Identität zurückzieht und das Wachbewusstsein des Mediums zurückkehrt, aber wie auch im Erwachen, verändern sich
Normalerweise wird eine Fokussierung des Unterbewusstseins beendet oder zumindest unterbrochen, wenn ein deutliches Sinnessignal wie beispielsweise ein Weckerklingeln oder ein eingeschlafener Arm eine Hinwendung des Fokus des Wachbewusstseins zum physischen Körper fordert. Hierdurch wird ein erster Wille im Wachbewusstsein initiiert und damit der nicht an luzides Träumen Gewohnte auf das Physische fokussiert. Dann kehrt die Wachbewusstseinsenergie mit einem Ruck oder Schütteln [Meek] wieder in den physischen Körper zurück, analog dem Wiedereintritt am Ende einer Nahtoderfahrung, sofern sie zuvor räumlich abwesend war.
Während des weiteren Erwachens wird zum einen die vollständige Kontrolle des Körpers durch das Wachbewusstsein sukzessive wieder aufgenommen. Die Körperstarre wird durch den ersten ihn betreffenden Willen des Wachbewusstseins - beispielsweise für eine bestimmte, bewusst eingeleitete Bewegung - mit der Umsetzung durch das Körperbewusstsein aufgehoben. Parallel verliert das Wachbewusstsein die Verbindung zu den Erinnerungsdaten des Unterbewusstseins und muss sich mit dem nunmehr auf die physische Welt der Erscheinungen gerichteten Fokus zunächst einmal orientieren.
Bei einem erzwungenen Erwachen direkt aus einer Tiefschlafphase heraus ist ein Jeder zunächst orientierungslos. Sowohl im langsamen als auch im plötzlichen Erwachen sind wir notwendig gezwungen, uns durch Zugriffe auf unsere in der Wesenheit gespeicherten Gedächtnisdaten zu orientieren. Wir klären im Bruchteil einer Sekunde ab,
wir uns gerade befinden.
Das wir hierbei stets die korrekten Daten abrufen können, ist nicht selbstverständlich. Im Jahre 2002 wurde von einer deutschen Mutter zweier Kinder berichtet, die nach einem Erwachen einen Teil ihres Gedächtnisses verloren hatte und sich seither an die letzten fünfzehn Jahre, somit auch an die Geburten und das Heranwachsen ihrer Kinder, nicht mehr erinnern kann. Offenbar griff ihr Wachbewusstsein aus hier unerfindlichen Gründen im Erwachen auf eine falsche Position in der Erinnerungsdatenbank ihrer Wesenheit zu und ergänzt nun fortan die fünfzehn Jahre älteren Daten mit dem Zustrom neuer Daten aus ihrem jetzigen Leben. Sie kann dies nicht korrigieren, weil jeder neue allmorgendliche Zugriff korrekt an die neu hinzu geflossenen Daten anschließt. Es ist auszuschließen, dass es einen weiteren Fehler in dieser Art geben wird, der ihr die fehlenden Gedächtnisdaten zurückgibt. Vielleicht wäre es ihr heute auch nicht mehr zu wünschen, denn dann könnten die nach dem ersten Fehler eingeflossenen Gedächtnisdaten unwiederbringlich verloren sein.
Möglicherweise wäre ihr über eine heute nicht mehr verbreitete Form der Tiefenhypnose eines erfahrenen Hypnotiseurs zu helfen, denn diese korrigieren bei Bedarf auch ähnliche, durch Hypnosefehler entstandene Gedächtnisverluste [Lit 120]. Beispielsweise bewirkt der unbedacht durch den Hypnotiseur gegebene Befehl 'Dein Kopf wird frei und klar' einen vollständigen Gedächtnisverlust. Nur über ein Zurückversetzen des Patienten an einen Zeitpunkt vor der fatalen Anordnung erlangt dieser wieder Zugriff auf die Erinnerungsdaten (vgl. Bde.5 & 7).
Doch zurück zum Prozess des Erwachens. Das Erwachen ist nach Schopenhauer das einzige Kriterium, welches den Traum vom Wachzustand unterscheidbar macht. Wie er weiter schreibt, müssen wir durch eine bewusste Anstrengung des Geistes den Faden unseres Lebens wieder aufnehmen, an der Stelle anknüpfen, an der wir es am Abend zuvor verlassen haben und uns dessen wesentliche aktuell gültige Eckdaten in Erinnerung rufen, um die Orientierung wiederzufinden. Es ist eine Art Einweisung, die wir uns selbst erteilen und allein die Existenz dieses Mechanismus zeige, dass das physische Leben selbst nur ein Aspekt unserer Existenz ist.
Doch schon zu Beginn eines Lebenszyklus müssen wir uns in einer mehrwöchigen Phase zuallererst einmal orientieren: "Das Ich-Gefühl eines Kindes ist nicht von Geburt an da, sondern erhebt sich nach und nach aus der Verquickung seines Selbst mit dem der Mutter", schreibt Updike. Das ist missverständlich. Wenn er das Identitätsgefühl meint, ist seine Aussage falsch - denn dieses besteht in der Lebenszyklen wechselnden Aussendung der Wesenheit unterbrechungslos fort. Was eine Identität im neuen Lebenszyklus erst entwickeln muss sind seine Anhaftungen an dieselbe. Hierzu bedarf es freudiger Erfahrungen, die sie nach dem Erwachen fortführen möchte. Wie im Prozess des Erwachens erhebt sich beim Neugeborenen das Gefühl der Anhaftungen erst nach und nach aus der Orientierung über Erinnerungen an das gelebte äußere Leben. In diesem Sinne ist das Erwachen nichts anderes als ein geboren werden, womit der Kreis sich schließt. Wenn wir jeden Tag sterben und am folgenden neu geboren werden, wovor um alles in der Welt fürchten wir uns eigentlich?
Diese Orientierung dauert bei einer hohen Motivation für Aktionen in der physischen Welt der Erscheinungen durch positive Erwartungen weniger lang als bei fehlenden Anreizen und der damit einhergehenden geringen Motivation und Willensstärke. In der völligen Antriebslosigkeit einer lähmenden Depression wird erst dann wieder die Kontrolle über den physischen Körper übernommen, wenn dessen Bedürfnisse die Ausbildung eines Willens erzwingen: Eine volle Blase meldet sich, ein Arm schmerzt wegen einer ungünstigen Liegeposition oder Außengeräusche erinnern an zu erledigende Dinge. Diese das Wachbewusstsein bedrängenden Sinneseindrücke werden über den Leidensdruck zu dem Entschluss führen, den Bedürfnissen des Körpers nachzugeben. Es wird ein entsprechender Wille beispielsweise zum Strecken, zum Aufstehen und zum ins Bad gehen ausgebildet.
In dieser zunehmenden Fokussierung auf das Physische kehrt erst der Großteil der Wachbewusstseinsenergie spürbar zurück. Man fühlt sich danach wach. Wenn man sich jedoch müde durch den Morgen schleppt, dann hat man sich der vollständigen Fokussierung verweigert - man will die geistige Welt noch nicht verlassen und schon gar nicht die physische fokussieren, vielleicht, weil ein ungeliebter Job mit schrecklichen Kollegen wartet. Wird diese ablehnende Haltung zur Gewohnheit, verbringt dieser Mensch möglicherweise den Rest seines (Arbeits-)Lebens teilbewusst, sofern er nicht auf vom sozialen Umfeld akzeptierte Weise über eine Erkrankung den Lebenszyklus verlässt. Doch von Roberts wissen wir, dass Verantwortungsgefühl und die Sorge um Nahestehende das Verharren in dem halbbewussten Zustand zementieren können [Lit 188].
Wenn die Erholungsphase des physischen Gehirns noch nicht abgeschlossen ist, fällt nach einer zu kurzen Schlafpause das Aufstehen schwer, weil es noch ermüdet ist und physische Sinneseindrücke nur als schwache Signale überträgt. Ist es dagegen erholt, werden sämtliche Sinnesreize deutlich zum Wachbewusstsein gebracht. In Folge löst sich der Fokus des Wachbewusstseins leichter vom Unterbewusstsein.
Wenn wir also nach einer zu kurzen Schlafpause erwachen, hemmt uns also das noch nicht belastbare, unausgeruhte Gehirn am Aufstehen. Hier verspüren wir eine physische Müdigkeit, wogegen die sonstige Schläfrigkeit vom Unwillen des Geistes herrührt, die geistige Welt loszulassen und sich der vergleichsweise beengten physischen Welt zu widmen. Letzteres ist in etwa so vorzustellen, als würde ein Kind aus dem versunkenen Spiel, der Künstler aus dem versunkenen Schaffen, der Hobbybastler aus dem versunkenen Tüfteln herausgerissen, weil sie zum Essen gerufen würden. In dieser Versunkenheit des Schaffens, das die Wissenschaftler Flow-Zustand (Fn. S.23) nennen, fokussiert das Wachbewusstsein sein Unterbewusstsein. Nur hat ein Rest Wachbewusstseinsenergie noch die physische Welt im Blick, während sich der Unterbewusstseinsanteil intensiv spielend oder tüftelnd mit einer Fragestellung auseinandersetzt. Der Kontakt zwischen Wach- und Unterbewusstsein ist dann so eng wie sonst nur im Schlaf, in Tagträumen oder nach dem physischen Ableben, wenn beide vereint als Einheit agieren.
In Tagträumen erleben wir ausschließlich phantasiebasierte Illusionen unseres Geistes, in welchen kein real existierender Lebender oder Verstorbener auftritt. Wir mögen diese zwar in unsere Phantasien einbauen, doch sind sie tatsächlich nicht anwesend. Diese fühlen jedoch über ihr Unterbewusstsein, dass intensiv an sie gedacht wird und gelegentlich auch, wer an sie denkt. Das entspricht dem oben beschriebenen Effekt, dass wir erstmals seit Langem daran denken, jemanden anzurufen und kurz darauf klingelt das Telefon und derjenige ist dran. Es ist uns ohne eine detaillierte Analyse der Vorgeschichte nicht möglich, festzustellen, wer zuerst an den anderen dachte und wer reagierte. Auf die gleiche Weise fühlen wir, wenn es einem uns Nahestehenden schlecht geht oder er ein Problem hat. Derartige Empfindungen sind stets zutreffend.
Mit dem von Schopenhauer festgestellten Sachverhalt2, dass nämlich im ersten Bruchteil einer Sekunde nach dem Aufwachen auch eine Orientierungslosigkeit in der Art vorherrscht, dass man vermeint, die linke Seite des Raumes sei die rechte und der vordere Teil des Zimmers der hintere, hat es nach meiner Auffassung eine einfache Bewandtnis: Nach der Geburt sieht ein Säugling alles spiegelverkehrt - das bedeutet, das Wachbewusstsein erhält ursprünglich über das Gehirn den Sinneseindruck der Augen eines um 180 Grad gedrehten Raumes, so dass die Welt des Neugeborenen auf den Kopf steht. Das Umdrehen der sinnlichen Wahrnehmung ist eine Lernleistung des Wachbewusstseins - und vermutlich nicht, wie mehrheitlich in Medizin und Wissenschaft angenommen, des Gehirns - und wird mit der ersten Orientierung in diesem zunächst als verdrehtes Bild3 wahrgenommenen Raum vorgenommen.
In der niederen Bewusstseinssicht (vgl. Bd.2), welche im Traum (vgl. S.279), nach dem physischen Ableben und in der außerkörperlichen Erfahrung (vgl. S.351) die vorherrschende visuelle Wahrnehmung ist, werden die räumlichen Verhältnisse ohne das erlernte Umdrehen des Sinneseindrucks in ihrer richtigen Anordnung erkannt. Hieraus ergibt sich die oben genannte räumliche Konfusion, wenn das Wachbewusstsein die physische Umgebung der Schlafstelle zuvor im Schlaf über die niedere Bewusstseinssicht wahrnahm. Das Drehen der Wahrnehmung geschieht dann in einem auf den Bruchteil einer Sekunde verkürzten Prozess der Orientierung; das Neugeborene braucht dagegen für das Erlernen dieser Fähigkeit einige Wochen. Hiervon unabhängig ist die oben beschriebene mentale Konfusion, wenn sich der Erwachende in die äußeren Umstände seines Lebenszyklus hineindenken muss.
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