Ingrisch und Roberts beschreiben die Unterschiedlichkeit von Bewusstsein einerseits und Geist andererseits. Geist ist die immerwährende Grundlage aller Energie. Bewusstsein ist eine Art Feature, welches vom Geist genutzt werden kann - aber nicht genutzt werden muss. So trennen den Geist ohne Bewusstsein vom Geist mit Bewusstsein lediglich unterschiedliche Zustände. Es ist also eine Zustandstrennung, wie wir sie u.a. finden
Das Wachbewusstsein repräsentiert eine intensiv auf ein Lebenssystem fokussierte, mehr oder weniger anhaftende irdische Identität. Die Wesenheit ist der höchste Spieler in uns. Sofern Ersteres seine Fokussierung nicht übertreibt, wird ein Teil von ihm in schwierigen Situationen und idealerweise auch im unbelasteten Alltag fragend seine Wesenheit fokussieren.
Man kann den Wechsel der Aufmerksamkeit dadurch registrieren, dass man beispielsweise in der größten Aufregung plötzlich innerlich völlig ruhig wird und das erregte Wachbewusstsein, welches dabei noch weiter wüten könnte, gleichsam von außen betrachtet und sich fragt: "Ist das wirklich die richtige Reaktion auf das Ärgernis?" Wenn dies geschieht, hat sich ein Teil der Psyche des polternden Wachbewusstseins für einen Moment zurückgenommen, weil es einen Zweifel am Nutzen der Aufregung empfand. Und sofort unterstützt die Wesenheit dieses Streben nach Erkenntnis und klärt die Situation mit einer intuitiven Antwort.
Im obigen Erlebnis C.G. Jungs als Schüler erfuhr er in seiner Wut einen Wechsel der Position, betrachtete das Geschehen aus seinem inneren Selbst heraus, begleitet von versöhnlichen Kommentaren seiner Wesenheit. (vgl. S.217) Roberts sieht darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen Wut und Ohnmachtsempfindungen:
"Ihr habt eure Kraft auf eine Situation oder ein Individuum übertragen und findet [A.d.V.: daher] eure eigenen Anstrengungen als nichtig. In solchen Lagen macht vom Kraftpunkt [A.d.V.: der Gegenwart] Gebrauch und lasst eure Wesensenergie in euer Erlebnis einströmen. Das Wissen um die Eigenmacht befreit euch von allen Ängsten und deshalb auch von eurer Wut." [Lit 184]
Ein jeder Lebenszyklus in der physischen Energiestufe I wird vom Wachbewusstsein als losgelöst von allen anderen parallelen oder vergangenen Lebenszyklen erfahren. Die Wesenheit steht außerhalb der reellen Zeiten und überblickt alle parallelen, vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Lebenszyklen. Jedes der im Grunde also simultan existierenden Selbst kann in diesem Netzwerk auf Energie, Erfahrungen und Wissen anderer Identitäten zugreifen [Lit 184].
Die äußere irdische Identität - Jungs Persönlichkeit Nr.1 -, bestehend aus Name, Sozialisation, Beruf, Position in der Gesellschaft, Habitus, Gesundheitszustand, Eigenschaften und Schwächen wie Neurosen und Ängsten etc., ist in jedem dieser Lebenszyklen verschieden. Ebenso die verstandesgemäße Intelligenz, welche allein auf den Eigenschaften des physischen Gehirns beruht (vgl. Bd. 6). Zudem prägen positive wie negative Lebenserfahrungen den individuellen Charakter einer Aussendung, welcher dem spirituellen Entwicklungsstand gleichzusetzen ist (vgl. Bd. 6). Dieser kann in verschiedenen Lebenszyklen nicht identisch sein, weil das Wachbewusstsein mal mehr, mal weniger offen für lenkende intuitive Einflüsse seines inneren Selbst ist, es zudem unterschiedlichen Einflüssen und Erfahrungen unterliegt und sich durch die bewusste Auswahl seiner Anhaftungen und geistigen Fixierungen begrenzen oder erweitern kann.
Unser ureigenes Wesen jedoch - Jungs Persönlichkeit Nr.2, Schopenhauers unverändert in uns Verharrende, Roberts Gesamt-Selbst -, welches unsere Art, die Dinge zu händeln und unser grundlegendes Lebensgefühl fernab von allen Emotionen beinhaltet, ist in allen unseren äußeren Identitäten identisch. Es resultiert aus der Wesenheit, dem gemeinsamen Haus ihrer Aussendungen (vgl. Bd. 2). All-das-was-ist kommt hierfür nicht infrage, weil es lediglich mittels seiner Energien die Welten erschafft, laufend unterhält und auflöst und nur beim Vorliegen besonderer mentaler Bedingungen seine Protagonisten beeinflusst oder sich als ein solcher erlebt.
Doch sind auch die alltäglichen positiven und negativen Besetzungen durch geistig Nahestehende Facetten unseres Selbst, welche der höchste Spieler in uns fokussieren und damit anklingen lassen kann. Sie ähneln nach Ingrisch Baumringen, welche ein Bewusstsein mit Schichten von Bewusstseinsanteilen anderer lebender oder verstorbener Existenzen2 erweitern und bereichern.
Der höchste Spieler in uns kann seinen Fokus auf einen dieser Kontakte richten, wodurch sich unser momentanes Lebensgefühl und Gebaren ändert. Es nähert sich dann temporär demjenigen Lebensgefühl an, welches wir zuletzt im direkten Umgang mit diesem Kontakt hatten. Man könne jedoch stets nur eine Saite des Anderen anschlagen, nur eine Note von vielen erklingen lassen, sagt Ingrisch. So sei die Vermischung mit Bewusstseinsanteilen Anderer stets nur ein partielles Zusammenfließen. [Lit 146]
Durch die häufigen Wechsel der Zustände aufgrund geänderter Fokussierungen haben die meisten Menschen die Fähigkeit, sich in mehr als nur einer Weise zu präsentieren. Und verhalten sich folglich über die Zeit nicht stringent, sind also nicht durchweg schlüssig in ihrem Verhalten. Sie zeigen alternierende Wesensseiten mit möglicherweise einander widersprechenden Eigenschaften. Das sollte - bewusst gespielt - als Bereicherung verstanden werden und nicht ängstigen.
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