"Du hast, wie jeder, einen inneren Kompass. Spür, wohin die Nadel weist und folge ihr." [Lit 142] Diese Zeile von Ingrisch halte ich für die treffendste und zugleich einfachste Anweisung, um Einflüsse der eigenen Intuition zu erkennen. An sich wäre damit für dieses Kapitel alles Wesentliche gesagt.
Aber gibt es mentale oder persönlichkeitsbezogene, die Intuition fördernde oder ihr abträgliche Bedingungen? Intuition geht nach Bergson stets mit Sympathie respektive nach Schopenhauer mit einer Affinität für das Betrachtete oder die Situation einher. Sie bedarf beim Empfänger einer emotionslosen Aufnahmebereitschaft, einer scharfen Beobachtung, einem besonderen Interesse, einer absichtslosen Gespanntheit [Herrigel, Suzuki] - also eines bestimmten geistigen Zustands. Spaß am Betrachtungsgegenstand ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Über ein freudiges Interesse wird nach Goldberg der Geist mit unseren Zielsetzungen und der Art und Weise, wie wir Probleme und Entscheidungen anpacken, programmiert.
Nach Sokrates wird das Forschen nach Wahrheit durch die Sinnesorgane und den Körper nicht nur nicht gefördert, sondern geht gar am erfolgreichsten vor sich, wenn der Geist durch den Körper so wenig als möglich gestört wird. Eine noch so kleine Irritation - sei es durch einen Splitter oder eine schmerzende Wunde - würde die Aufmerksamkeit immer wieder vom Betrachtungsgegenstand oder der Fragestellung wegziehen. Auch Anhaftungen an die physische Welt der Erscheinungen, die sich beispielsweise in Sorgen äußern, oder Geräusche derselben können diesen der Meditation ähnlichen Zustand beeinträchtigen. Weiterhin treten intuitive Eingebungen umso leichter auf, je ausgeruhter Körper und Geist sind. Viele große Vordenker wie Schopenhauer bevorzugten für ihre schöpferische Arbeit die frühen Morgen- und Vormittagsstunden; im verbleibenden Tag führten sie nur nicht schöpferische Routinearbeiten aus.
Den intuitiven Menschen zeichnen nach Roberts folgende Merkmale aus:
Wer, nach Außen fixiert, ein Ziel unbedingt erreichen will, wer also seinen Willen dominieren lässt und nicht absichtslos ist, dem geht diese Verbindung zum inneren Selbst verloren. Alle wichtigen Werke werden vollbracht, wenn der Mensch nicht rechnet und denkt. Beim intensiven Wünschen tritt wie bei mutlosen Leuten ein gegenteiliger Effekt ein. Deshalb muss das aktive, diskursive (Fn. S.40), schlussfolgernde und emotionale Denken aufgegeben werden zugunsten eines intuitiv offenen, emotionslosen und geduldig passiven Reflektierens. Es beinhaltet die Bereitschaft, etwas mit sich geschehen zu lassen.
Eine Übung zur Erlangung einer Intuition könnte folgendermaßen aussehen: Sie suchen sich eine beliebige Fragestellung aus, welche Sie interessiert und gedanklich fesselt. Das kann einen alternativen Weg zur Spaltung eines Atoms ebenso beinhalten wie die Frage, wie Sie einen bestehenden Konflikt am besten auflösen. Steht das Thema fest, lassen Sie fortan in Ihrem unverändert verlebten Alltag für Stunden alles Äußere so weit als möglich unbeachtet und konzentrieren sich immer wieder beiläufig auf Ihre Fragestellung. Für Sie gibt es in dieser Phase keine wichtigere Überlegung als das Beschäftigen mit der Problematik [Herrigel, Suzuki]. Besonders hilfreich ist dies direkt vor dem Einschlafen.
Sie werden allerdings oft gedankenverloren und geistesabwesend wirken und es auch sein. Tatsächlich sind Ihre diskursiven Überlegungen hierbei sehr reduziert, diese stecken nur gelegentlich die Fragestellung ab.
Dann muss eine Phase folgen, in der Sie Ihre Fragestellung vollkommen fallen lassen. Erst hierin sucht das innere Selbst nach der passenden Lösung. Ein brauchbarer Rhythmus wäre, alle paar Tage für einige Stunden intensiv die Problematik zu bedenken, um sie dann wieder vollständig zu 'vergessen'.
Musik aktiviert nach Roberts Körperzellen und stimuliert die Energien des inneren Selbst, wodurch sie dazu beiträgt, das Wachbewusstsein mit den anderen Teilen des eigenen Selbst in Einklang zu bringen:
"Die natürliche Heilwirkung des Tons kann auch eintreten, wenn ihr einfach dem Regen lauscht. Ihr braucht keine Drogen, keine Hypnose, nicht einmal Meditation. Ihr müsst nur die Freiheit eures Bewusstseins zulassen und diese handhaben. Sich selbst überlassen mobilisiert es von selbst Gedanken und Bilder, die ihre eigene Heilkraft in sich haben." [Lit 184]
Wer über freie Zeit zur Gestaltung verfügt, kann das Auftreten intuitiver Eingebungen nach Herrigel und Suzuki weitergehend erleichtern. Durch ein konzentrationsförderndes, sorgfältiges und bewusstes Ein- und Ausatmen in entspannter Lage verblassen die äußeren Sinneswahrnehmungen wie bei einer besonders intensiven Beschäftigung im Flow-Zustand , bei der man Zeit und Raum vergisst.
Die in diesem ruhigen Zustand aufkommenden diskursiven Gedanken, Gefühle und emotionalen Stimmungen stören zwar den angestrebten Gleichmut. Man lernt jedoch allmählich, die Störungen unwirksam zu machen, indem man gelassen verfolgt, wie sie kommen und gehen, bis man in eine Art konzentrierte Absichtslosigkeit gerät. Und in dieser nimmt man nach Roberts Miniträume und Wahrnehmungen aus anderen Realitätssystemen sowie assoziative und intuitive Gedankenabläufe wahr. Weniger intensiv geschehe dies auch im normalen Alltag regelmäßig zwischen fünfzehn und fünfzig Mal in der Stunde:
"Diese Pausen sind für das physische Bewusstsein unbedingt notwendig. Sie sind in den Teppich eures Bewusstseins dermaßen geschickt und intim verwoben, dass euer ganzes psychisches und gefühlsmäßiges Klima davon gefärbt wird. In diesem unendlichen, euch tragenden Gewebe läuft das normale Wachbewusstsein wie ein Faden auf und ab." [Lit 175]
Für den Absichtslosen sind intuitive Erfolge lediglich äußere Anzeichen für die innere Versunkenheit. Sollte er beispielsweise mit präkognitiven Intuitionen Erfolge beim Glücksspiel haben, dann nur dadurch, dass ihm ein möglicher Gewinn oder Verlust völlig einerlei ist und er sich dem Unbewussten öffnet und ausliefert [Koestler, Herrigel, Suzuki]. Dabei lässt man auch die schwankenden Stimmungen von Lust und Unlust hinter sich.
Der Erfolg wächst hierbei nicht durch einen Lerneffekt; was man lernt ist, zu wissen, wann man in einer Versunkenheit ist, in der es klappt. Man weiß dann, wie es sich anfühlt, wenn es funktioniert. Man ahnt den Erfolg schon voraus. Sobald der Geist auf ein Ziel gerichtet ist, kommt ihm vieles entgegen, bemerkte schon Goethe. Bei Versuchsreihen hatten gefühlsmäßig stark verbundene Personen, die sich zusammen einer Aufgabe stellten, eine um den Faktor sieben höhere Erfolgsquote.
Die in einer solchen Atmosphäre mögliche Intuition zeigt sich zuerst durch einen plötzlich und ohne Anstrengung oder Vorahnung einsetzenden vagen gefühlsmäßigen Eindruck, ein Empfinden. Es spricht mich etwas an, es drängt sich mir etwas Sinnvolles auf. Dann folgt notwendig eine vom Willen unabhängige, klare, auf die Situation angepasste Emotion, die als von außen kommend empfunden wird wie beispielsweise:
Diese Beschreibungsversuche laufen darauf hinaus, dass jeder Mensch Teil eines viel größeren Systems ist. Durch latente Gedanken, Wünsche und Hoffnungen, in voller Stärke jedoch durch intensives Beschäftigen mit einer Fragestellung, wird eine Interaktion in Gang gesetzt. Man fühlt, dass man Teil von etwas Größerem ist. Indem man intuitiven Hinweisen folgt, welche nicht das Ergebnis eigener Überlegungen sind, handelt man wie fremdgesteuert.
In wissenschaftlichen Versuchsreihen zur Gedankenübertragung stellen sich Sender und Empfänger in ähnlicher Weise auf ihre Aufgaben ein. Upton Sinclair beschreibt diesen Ablauf so, dass sich der Sender zunächst auf die Person des Empfängers oder einen zu übertragenden Gegenstand intensiv konzentriert. Jetzt wird zwischen zwei Sendungsarten unterschieden: Soll der Empfänger einer inneren Stimme folgend einen Befehl ausführen, konzentriert sich der Sender mit geschlossenen Augen auf diesen Wunsch. Beispiel: Der Empfänger möge aufstehen und zum Telefon gehen. Will der Sender dagegen Informationen über den Empfänger empfangen, gibt er seinem Unterbewusstsein - präziser dem nach innen gerichteten Wachbewusstseins-Anteil (vgl. Bd.2) - den Befehl, etwas Bestimmtes herauszufinden und das Ergebnis dem Bewusstsein zu melden. Dies sei nach Piaget ähnlich dem Versuch, sich an einen Namen zu erinnern. Nach Murray erhält der Empfänger dann stets einen zunächst unbestimmten atmosphärischen Eindruck, der erst allmählich deutlicher werde [Lit 52].
Nach Murray basieren also die Phänomene der Intuition auf Emotionen, die mit Anfangs unbestimmten atmosphärischen Eindrücken beginnen, welche allmählich deutlicher werden. Selbst bei Misserfolgen bräche dieses atmosphärische Gefühl oft durch. Das bedeutet, dass dieses weniger ein Wahrnehmungsvorgang sei, in dem ein Bruchstück einer Information übertragen würde. Es sei eher ein Gefühl und darüber hinaus bemerkenswert, dass Versuche zur Intuition nur Erfolg haben, wenn sie den Probanden ansprechen. [Lit 52]
Wenn jemand Zugang zu Informationen hat, die einem anderen nicht zur Verfügung stehen, dann kann auch nach dem US-amerikanischen Physiker Schmidt der nicht Informierte unter bestimmten Bedingungen das Wissen um diese Informationen in einem höheren Maße erzielen, als es mit zufälligem Raten möglich wäre. Bestimmte psychologische Merkmale der Versuchspersonen hängen hierbei mit dem Grad ihres Erfolgs als Sender oder Empfänger zusammen. So können Versuchspersonen den Ausgang von theoretisch unvorhersagbaren subatomaren Prozessen richtig vorhersagen mit einer Antizufallswahrscheinlichkeit von 10 Milliarden zu 1.
Dennoch vertraut der aufgeklärte Mensch des 21. Jahrhunderts nur bedingt auf intuitive Eindrücke. Oft findet nach dem Auftreten einer Intuition ein diskursives Abwägen, ein innerer Zwist statt, der in der Frage mündet, ob man dem Bauch oder dem Verstand vertrauen solle.
Intuitive Eindrücke sind ähnlich der Erinnerungen an die Vergangenheit nicht immer in allen Facetten klar wahrnehmbar. Erinnerungen beispielsweise sind vielschichtig - es gibt visuelle, akustische und andere Sinne betreffende Erinnerungen sowie Erinnerungen an die Stimmung, an die Sicht der Dinge, an die gesamte geistige Situation und Verfassung. Auch sind nach Freud zwei Arten der Wahrnehmung zu unterscheiden. So gäbe es Feld- und Beobachter-Erinnerung.
Die Beobachtererinnerungen, welche wir als distanzierter Beobachter wahrnehmen, sind durch wiederholtes, auch unbewusstes Aufarbeiten modifizierte Versionen eines Ereignisses, das wir anfänglich aus der Feldperspektive wahrgenommen haben. Wir sehen uns hierin als wären wir in der Erinnerung sichtbar. Wogegen wir in der Felderinnerung im ursprünglichen Geschehen aus unserer damaligen Perspektive heraus blicken. Nach Schacter ermögliche nur die Feld-Erinnerung eine ziemlich genaue Erinnerung aller mit ihr verknüpften Facetten, vor allem der seinerzeitigen Emotionen; die Beobachter-Erinnerung dagegen beschränke sich weitgehend auf die objektiven Umstände der Erinnerung [Lit 28].
Wenn wir uns nun in einer Präkognition an zukünftige Ereignisse erinnern, dann zeigt sich die Kurzzeit-Präkognition als Feld-, die Langzeit-Präkognition als Beobachter-Erinnerung. Diese intuitiven Wahrnehmungen sind im Gegensatz zu der Erinnerung an Vergangenes wenigstens im Moment des Auftretens nicht durch eine diskursive Aufarbeitung verfälscht.
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