Ein anderer Aspekt. Wir versuchen, in das bisschen Lebenszeit, das uns bleibt, immer mehr hineinzupacken, als es möglich ist. Wer einmal mit einem zweijährigen Kind, das auf seinen eigenen Beinen unterwegs ist, eine Fußgängerzone durchlief, der weiß, was ich meine. Wenn das Leben noch neu und alles spannend ist, halten wir an allem an, beschäftigen uns ausgiebig damit, nur um dann, wenn das Betrachtete seinen Reiz verliert, weiter zu ziehen zum nächsten Gegenstand unserer Betrachtung.
Auch wenn dieses Leben in Frieden, Erfolg und persönlichem Glück verläuft - Trauer ist in Allem verborgen. Sie liegt in dem Verlust von Nahestehenden, in der begrenzten Zeit, die wir in diesem Lebenssystem gemeinsam verbringen, also in jedem Abschied von etwas Seienden, das uns etwas bedeutet. Zu leben heißt zu trauern, und liefe es auch noch so gut.
Denn wie glücklich ist derjenige, welcher sich in bester sozialer Position unserer künstlichen Hierarchien befindet, welcher durch Mittelzuflüsse über alle Zeit der Welt verfügt, der nicht genötigt ist, durch mehr als das Überweisen von Rechnungsbeträgen seinen Lebenslauf zu führen? Abgesehen von Schopenhauers Erkenntnis, dass in Abwesenheit der Not die Langeweile den gewöhnlichen Kopf befällt, ist ein jeder auch in bester körperlicher und geistiger Verfassung ständig, in einem jeden Augenblick seiner Existenz, von den Unwägbarkeiten derselben bedroht.
Auch in seiner günstigen Position kann ein Schicksalsschlag ihm oder seiner Familie oder Freunden das Leben oder die Gesundheit nehmen, seine finanziellen Mittel können sich durch Kriege, Fehlspekulationen oder Unglücke über Nacht in Nichts auflösen. Kurz gesagt steht er allzeit, in einem jeden Moment, unter der großen Obhut seines Selbst, welches ihm gelegentlich auch zur Beschleunigung seiner spirituellen Informiertheit all das entziehen kann, was ihn satt gemacht und in scheinbarer Sicherheit gewogen hat.
Die Frage hinter jedem tragischen Ereignis ist: Wozu soll es mich initiieren, welcher Sinn steht hinter dieser Herausforderung? Warum hielt der Geist meiner mich einst aussendenden Wesenheit eine Kurskorrektur für nötig?
Bei angeborenen Behinderungen und ab Geburt schwierigen Lebensumständen ist die Sache klar - sie wurden vor dem Lebenszyklus meist gemeinsam mit dem Geist der Wesenheit gewählt. Der Sinn ist, im nach außen gerichteten Wachbewusstsein bestimmte Entwicklungen anzustoßen, die sich aus Friede-Freude-Eierkuchen-Umgebungen nicht ergeben hätten. Auch einige der Menschen, mit denen wir es als Freund, Feind oder Familie zu tun bekommen, gehören zu einer freundschaftlich verbundenen Gruppe, die in wechselnden Konstellationen immer mal wieder eine Runde in Lebenszyklen initiiert. Dabei werden regelmäßig die Rollen getauscht, niemand ist auf ewig in komfortablen oder benachteiligten Positionen.
Schopenhauers Erkenntnis über die Vielfältigkeit der Übel, denen jedes Lebewesen in seinen physischen Projektionen ausgesetzt ist, gilt also auch für den vom Leben Begünstigten. Dieser befindet sich nur in einer geliehenen Position, ebenso wie der Arme und der Ausgebeutete, und nichts ist sicher. Aus dieser Erkenntnis entwickelt sich Mitgefühl (Fn. S. 24) - nicht Mitleid(!) - im Sinne der buddhistischen Definition und mündet im Helfen und Unterstützen auch des Schwächsten und Geringsten.
Denn schon in der nächsten Minute kann der Helfende zum Hilfsbedürftigen werden, kann er aus seiner komfortablen Position gerissen sein. Die Erkenntnis, das dies eintreten könnte, ist die Wurzel allen Mitgefühls (Fn. S. 24). Es ist ein notwendiger und wichtiger Lernprozess, der nur in solch einem physischen Lebenssystem möglich ist. Niemand sollte sich also aufgrund einer gehobenen wirtschaftlichen und/oder sozialen Position einem übermäßigen Stolz für das Erreichte und der Verachtung des in den künstlichen Hierarchien unter ihm Stehenden hingeben.
Über die inneren Sinne, die sich unter anderem in der Telepathie zeigen, sind wir in Worringers und Roberts Sinne nicht nur mit anderen Menschen verbunden, sondern über Affinitäten auch mit Tieren, Insekten und Dingen. Die Existenz dieser alles Seiende umfassenden Verbindungen wurde von der Physik für die subatomare Ebene unserer physischen Welt bestätigt. Alles ist mit allem über pulsierende subatomare Energieströme verbunden. Die Quantenphysiker nehmen seit Max Plancks Vortrag vor dem Gelehrtenkongress in Florenz im Jahre 1930 an, dass diese Energieströme sich selbst bewussten Geist repräsentieren (vgl. S. 57).
Dieses System zieht alle Menschen mit zunehmender spiritueller Informiertheit sanft weg vom Machtstreben, von Selbstbezogenheit und der ausschließlich materiell orientierten Grundeinstellung, die vielen derzeit noch wichtig ist. Laotse muss dies vor Augen gehabt haben, als er vor etwa 2250 Jahren schrieb:
"Alle menschlichen Begriffe, Werte und Ziele sind relativ und sollten kein Zweck an sich sein."
So sind Entspannungen mit Freude ebenso wichtig wie freudige schöpferisch-kreative Phasen und eine spielerische Einstellung gegenüber eigenen Defiziten. Letztlich vereint uns zunehmende spirituelle Informiertheit mit unserem inneren Selbst und erinnert an die Verantwortlichkeit für unseren Körper sowie anderes Seiende einschließlich der nur scheinbar unbelebten Natur. Sie macht Mut, die Einflüsse des inneren Selbst zuzulassen und partnerschaftlich mit diesem über innere Sinne zu kommunizieren. Einflüsse spirituell weniger informierter Menschen und des von ihnen wesentlich geprägten Zeitgeistes werden so reduziert.
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