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Reihe: 'Hinter den Kulissen unserer Welt' ONLINE LESEN
Band 3: Klassische Sterbeforschung


Das hier zum Lesen freigegebene Buch ist in allen Buchhandlungen erhältlich
ISBN 9783749455133


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Kapitel 3.5.: Die Selbstprüfung oder 'Wozu sind wir im Leben?' (Verlauf der Orientierungsphase)

Erkenntnis beinhaltet Verantwortung. Und so gibt es für alle diejenigen, welche nicht völlig erkenntnislos sind, früher oder später eine Phase der Selbstprüfung, einer selbst vorgenommenen Abrechnung. Man überblickt und reflektiert nach Roberts (Seth) seine Gesamtleistung, seine Fähigkeiten und Schwachpunkte und entscheidet sich dann für oder gegen eine weitere physische Existenz mit vorher festgelegten Eigenschaften [Lit 175]. Die Lebensrückschau ist ein erster Anstoß zur Selbstprüfung. Man erkennt eigenes Fehlverhalten und beginnt mit der Reflexion. Später kann man sooft man möchte sein letztes physisches Leben auf diese Weise durcharbeiten. Oder nach Roberts in Teilen erneut passiv durchleben.

Die meisten Menschen - wie Updike es beschreibt - beten einen falschen Gott an, "einen plumpen dicken Gott der Respektabilität und der Äußerlichkeiten; einen unechten, versnobten Gott des richtigen Autos, der richtigen Schuhe, des richtigen Country Clubs, der richtigen Adresse und der Anschaffungen, die zu aus der Mode gekommenem Abfall degenerieren und sich nicht [...] nach oben entwickeln". Einstein bemerkte: "Wenn du ein glückliches Leben leben möchtest, richte es auf ein Ziel aus, nicht auf Menschen oder Dinge."

Und Schopenhauer sagt in 'Von dem, was einer vorstellt', dass wir, bei genauerer Untersuchung, fast die Hälfte aller Bekümmernisse und Ängste, aber auch die des Neids und des Hasses, die wir jemals empfunden haben, aus unserer beständigen absurden, etwa fünfzigfach überzogenen Sorge um die Meinung anderer hervorgegangen sehen und dass - ohne diese Sorge - der Luxus kaum ein Zehntel dessen wäre, was er ist. Er sieht übrigens als alleinige Abhilfe gegen diese natürliche Torheit das Mittel, sie deutlich als solche zu erkennen und sich klarzumachen, wie falsch, verkehrt, irrig und absurd die meisten Meinungen in den Köpfen der Menschen zu sein pflegen, daher sie, an sich selbst, keiner Beachtung wert sind.

Ingrisch warnt in diesem Zusammenhang vor einer Sammelleidenschaft der "falschen Identität", dessen Gegenstand die Vorstellungen von sich selbst sind. Denn das Gedächtnis wäre das Gefängnis einer an sich fließenden Identität. So könne man schon zu Lebzeiten durch das rechtzeitige Anstreben einer - sie sagt 'Nicht-Identität', aber besser wäre 'nicht abwertende Identität' - den Übergang vereinfachen. Denn die scheinbaren Begrenzungen entstehen durch Angst. Jede verengte Individualität resultiert aus der Angst, in allem aufzugehen.

Roberts schreibt zur Auseinandersetzung mit dem vergangenen Lebenszyklus, welche nach ihrer Auffassung in der Regel mit der Lebensrückschau noch nicht beendet sei:

"Ihr untersucht die Struktur der Existenz, die ihr zurückgelassen habt, und lernt verstehen, wie eure Erfahrungen die Ergebnisse eurer eigenen Gedanken und Empfindungen waren und wie sie auf andere gewirkt haben [...] Was ihr seid, beginnt das mit zu beinhalten, was ihr in anderen Leben wart, und ihr fangt an, für eure nächste physische Existenz Pläne zu machen, insofern ihr euch für eine solche entschieden habt. Ihr könnt statt dessen auch eine andere Realitätsebene betreten und danach, wenn ihr es wünscht, zur physischen Existenz zurückkehren."

Manch einer hält sich nach Meek bei der Lebensrückschau sehr lange auf, indem Phasen des letzten Lebenszyklus in Realzeit verfolgt werden. Doch diese Aufarbeitung sei notwendig, damit Unbewältigtes zum Abschluss gelangt, damit der Betroffene mental loslassen kann. Es ist also gut, schon zu Lebzeiten Menschen, Dingen, Orten, Gewohnheiten und Glaubensgrundsätzen nicht übermäßig anzuhaften, denn diese sind stets nur von vorübergehender, temporärer Bedeutung für unsere Existenz. Wer erst im Übergang des physischen Todes begänne, sich von Eifersucht, Raffsucht, Neid, Hass, Selbstsucht, Gier aller Art und falschen Glaubensgrundsätzen zu befreien, dem stünde eine große Aufgabe in einem kleinen Zeitfenster bevor. Denn wer beispielsweise in Geldesdingen sein Leben lang nur gerafft und in Verschlagenheit hintergangen hat, wird wohl kaum in wenigen Stunden der reellen Zeit die Erkenntnis gewinnen können, dass ein gegenteiliges Verhalten und Denken, somit eine vollkommen konträre Einstellung, letztlich richtig gewesen wäre.

Zudem ist ein im Übergang befindlicher, sehr verengter Mensch seinem eigenen, ungezügelten, durch keinen Charakter (vgl. Bd.6) gebremsten Willen ausgesetzt - somit in letzter Konsequenz seinem eigenen Bewusstsein in seiner ganzen Negativität (Fn. S.141). Oder im umgekehrten Fall seiner ganzen Positivität. So straft und belohnt sich ein jeder unausweichlich selbst. Denn abgerechnet wird zum Schluss - diese alte Spielerweisheit trifft auch auf einen Lebenszyklus zu. So entscheidet nach Meek "der Grad der Verarbeitung und Aussöhnung mit allem, was uns im vergangenen Leben an Aufgaben gestellt war über die Ebene, auf der wir das nun vor uns liegende Dasein in der Geistigen Welt fortsetzen" [Lit 123].

All dies entspricht im Kern der buddhistischen Geistesschulung. So scheint es ein grundlegendes Prinzip der Existenz zu sein, dass alle Dinge nur geliehen sind: Es beginnt mit dem geliehenen Universum, der Aufenthalt der darin befindlichen Identitäten in geliehenen Körpern, wir kommen zu Gütern und Beziehungen, die wir ebenfalls nur geliehen haben, die unserem unsterblichen Bewusstsein nur auf Zeit zu Verfügung stehen. So wie der Ackerbauer der Wirt seiner Scholle auf Zeit und zugleich ein Bewahrer der Substanz für die nachfolgenden Generationen ist, so sind die Identitäten im Universum die Wirte ihrer Körper und die Bewahrer ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten für nachfolgende Generationen. Und wenn die Kinder das Bewahrte übernehmen und nunmehr selbst bewahren, dann war es nicht vergebens.

Insofern findet sich nach Schopenhauer nichts Verwerfliches in dem angemessenen Streben nach schönen Gütern, wenn sie unserer Beruhigung und der Absicherung gegen die Unglücksfälle des Lebens dienen und damit zu einem wohlbefindlichen Bewusstsein in einer schmerzlosen, ruhigen und erträglichen Existenz beitragen und die Aufgabe des Bewahrens und der Weitergabe erfüllen helfen.

Roberts warnt ausdrücklich vor Askese und Selbstkasteiung. Dieses Lebenssystem würde es nicht geben, würde nicht die kollektive und individuelle Werterfüllung (sh. Ahg. 1) an erster Stelle stehen. Denn welchen Grund sollten Individuen haben, sich für ein physisches Sein zu entscheiden, wenn hier - wie von der heutigen Wissenschaft fälschlich angenommen - ein Hauen und Stechen herrschen würde, nur der Stärkere überlebt und somit Mord und Totschlag dessen Grundlage sind? Niemand. Denn jedem Selbst steht es völlig frei, in ein physisches Leben zu gehen oder nicht. Und wenn es darin ist, solange zu verweilen, wie es möchte. [Lit 191]

Ebenso ist die Negierung der physischen Existenz ein der Werterfüllung entgegenstehendes Denken. Der Fatalismus der Stoiker hilft zwar, sehr schwierige Lebenspassagen zu überstehen. Aber das eigene wie auch das kollektive Wohlsein muss immer an erster Stelle stehen. Wer Verlangen, Begehren, Individualität, Kreativität und die physische Existenz als solche negiert oder kleinredet, ist völlig auf dem falschen Dampfer. Es gibt keine erstrebenswerte Seligkeit in einem Nicht-Sein. Nicht nur im Physischen, auch in allen geistigen Welten sind Verlangen, Individualität und Kreativität Lustmittel zur Werterfüllung. [Lit 191]

Im Band 8 gehe ich tiefer auf den Sinn des Lebens ein. So hat Laotse zwar recht, wenn er sagt, dass alle menschlichen Werte und Ziele relativ sind und kein Zweck an sich sein sollten, was mit dem Prinzip einer geliehenen physischen Existenz sehr schön zusammenpasst. Allerdings muss man zum einen die höheren Lebensziele hiervon ausnehmen und darf dies zum anderen nicht als Vorwand für ein Herunterspielen der Bedeutung des physischen Seins sehen.

Damit hat auch das nachfolgende Gedicht von Anwari Soheili keine Gültigkeit. Er negiert die individuelle Bedeutung des Seins radikal:

Ist einer Welt Besitz für dich zerronnen,
Sei nicht in Leid darüber, es ist nichts;
Und hast du einer Welt Besitz gewonnen,
Sei nicht erfreut darüber, es ist nichts.
Vorüber gehen die Schmerzen und die Wonnen,
Geh an der Welt vorüber, es ist nichts.

So schön dieses Gedicht auf dem ersten Blick ist - vergessen Sie es gleich wieder. Diese fatalistisch-stoische Sichtweise ist die Kapitulation eines Leidenden vor den selbst gestellten Anforderungen des Lebens und die Abkehr vom Streben nach Werterfüllung, Kreativität und "sinnenhaften Leben" [Roberts]. Es symbolisiert also eine Selbstaufgabe. Jede physische Realität ist ein kollektives Experiment, auf unterschiedliche Weisen mit schöpferischen Energien umzugehen zu lernen und dabei die Werterfüllung alles Seienden anzustreben. Und vor allem zu lernen, dass wir über unser Streben und Denken unsere Realität individuell wie kollektiv selbst erschaffen.

Aus diesen Betrachtungen ergibt sich ein Leitfaden für das Handeln: Psychische Ausgeglichenheit ohne Groll und Abneigung gegen was auch immer ist wichtiger als Status; wir sollen uns um das seelische Wohl unseres Selbst und um das der Anderen bemühen, ohne uns um deren Meinung über uns zu scheren. Dieses entspräche einem christlichen Verhalten, zumindest wie wir es in jüngerer Zeit verstehen. Die Christen waren nicht in jedem Zeitalter so versöhnlich, wie sie sich heute weitgehend geben.

Dieses zu Leben dürfte freilich vielen sehr schwer fallen. Am Ende der Lebensrückschau jedoch, so scheint es, entscheidet man selbst, ob man sich vergeben und damit loslassen kann.

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